Donnerstag, 1. Januar 2009

Du, die einen Trinker liebt...

wirst von ihm nicht mehr für voll genommen –
er hört Dir nicht mehr wirklich zu.
Irgendwann wird er Dich für verrückt erklären, Dich,
die ihn dauernd zur Rede stellt, ihm immer wieder sagt:
„Du trinkst zuviel!“

"Was redet sie denn nur? Die spinnt doch!",
wirst Du zu hören kriegen und irgendwann
wirst Du glauben, was er über Dich sagt.

Du, die einen Trinker liebt...
spielst in Gesellschaft gern die Kontrolleurin
über seinen Alkoholkonsum, nimmst sie in Schutz,
diese Witzfigur, über die inzwischen jeder lacht,
was Dich jedoch zutiefst trifft, als gälte es Dir persönlich.
Denn er ist Dein Schützling, der Dich dringend braucht,
denn ohne Dich wäre er verloren!

Du, die einen Trinker liebt...
ganz gleich ob er betrunken oder nüchtern ist,
erkennst nicht mehr,
wie sehr er sich inzwischen verändert hat,
und obwohl Du im Grunde nicht mehr weißt,
wen Du da liebst, hörst Du nicht auf, zu lieben.
Und wenn sein Gang schwankt,
er nicht mehr ordentlich sprechen,
nicht richtig essen kann,
dann wirkt er so unwiderstehlich süß und hilflos auf Dich,
ja, fast wie ein Kind...
und tief in dir erwacht wieder das alte, brennende Gefühl
von Mitleid und Hilfsbereitschaft -
schäbiger Ersatz für ein Gefühl,
das Du für Liebe hieltest...

Du, die einen Trinker liebt...
verstehst nicht, dass er zuviel trinkt,
nur weil er nicht „Nein“ sagen kann,
weil er beliebt sein möchte um jeden Preis!
Beliebt – aber nicht erkannt!

Der Mensch, der hinter allem steckt -
so wie Du ihn kennst -
die grausame Wahrheit über ihn, den Trinker!
Du kennst sie. Denn Du bist die, die sauber macht,
wenn er sich übergeben hat, die ihn zu Bett bringt,
wenn er die Füße nicht mehr heben kann,
die ihm irgendwann einmal die Windeln anlegt,
weil er es aus eigener Kraft nicht mehr zur Toilette schafft...

Du nimmst es hin, wie ein fatales Gesetz, das es einzuhalten gilt.
Du denkst: Nein! So schlimm ist es mit ihm noch nicht! -
Er ist da ganz anders! -
Bei ihm geht es ja noch! -
So hörst du dich in Deinem Innern zu Dir selbst sagen,
immer wieder, als Entschuldigung für deine Selbstlosigkeit,
für Deinen Hang, nichts verändern zu wollen.
Lieber nimmst Du ihn wieder in Schutz, weil Du es so gewöhnt bist.
Fühlst dich weiterhin verantwortlich für ihn und sein Leben.

Doch für Dich, die Du einen Trinker liebst...
ist vielleicht einmal keiner da, hört keiner mehr zu,
wenn du Hilfe brauchst...
Zu lange schauen sie allesamt schon zu,
Deine Familie, Freunde, Bekannte, Nachbarn...
Zu oft hast Du sie in ihre Schranken verwiesen.

Doch irgendwann kommt der Tag der Abrechnung -
dann wird er allein Dich
für all die schlimmen Dinge verantwortlich machen,
die in seinem Leben schlecht gelaufen sind
doch für die Du im Grunde nichts kannst.

Sein heulendes Elend am Morgen -
sein Selbsthass -
die dumpfe Leere in seinem Innern,
die ohne Gefühl längst ausgedörrt ist wie eine Wüste!
Und dann noch diese verhaßte Abstinenz!
Die auch Du immer wieder von ihm forderst,
nur, um ihn endlos damit zu quälen -
doch auch nur aus Angst um ihn und dem,
was aus ihm noch werden soll.

Er empfindet nicht mehr wirklich was für Dich,
die du ihn liebst und auch nichts mehr für die Kinder,
die ihn nur noch nerven.
Denn er hat seine Gefühle von damals,
die Liebe von früher, eingekerkert, tief in seinem Innern.
Er fühlt nur noch Hilflosigkeit und Ausweglosigkeit
bis zum nächsten Rausch, der unweigerlich kommt,
ja, kommen muss,
wie nach der Ebbe die Flut...

Komme Du, die ihn liebt,
ihm besser nicht zu nahe, wenn er so fühlt...
Denn er weiß noch genau:
Du hast dereinst die Verantwortung für ihn
und sein Leben übernommen!

Erinnere Dich statt dessen jetzt daran, wer DU wirklich bist
und welche Aufgaben und Freuden das Leben für DICH bereithält!

Denn der Mensch, den du noch immer liebst,
ist womöglich längst ertrunken – in der Flut...

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